· Alain Ritter · Projektleitung · 3 min read
Wenn agile Projekte doch Wasserfall sind
In diesem Beitrag beleuchte ich, warum sich agile Projekte oft in Wasserfall-ähnliche Strukturen zurückentwickeln und wie man diesen Fallstricken entkommt. Agilität bedeutet mehr als nur Methoden wie Scrum oder Kanban – sie erfordert eine kulturelle Veränderung, Flexibilität und Empowerment der Teams.
Agile Methoden wie Scrum oder Kanban sind heutzutage der Goldstandard für moderne Softwareentwicklung. Doch nicht selten erlebt man Projekte, die sich zwar auf die Fahne schreiben, agil zu sein, am Ende jedoch die Charakteristika eines klassischen Wasserfall-Modells aufweisen. Warum passiert das? Und wie kann man die „Agile-in-Name-Only“-Falle vermeiden?
Was zeichnet agile Projekte aus?
Agile Projekte basieren auf flexiblen, iterativen Prozessen. Die zentralen Prinzipien sind:
- Inkrementelle Entwicklung: Lieferung von Teillösungen in kurzen Zeiträumen (Sprints).
- Kundenzentrierung: Regelmäßige Feedback-Schleifen mit Stakeholdern.
- Adaptivität: Fähigkeit, sich an sich ändernde Anforderungen anzupassen.
- Cross-funktionale Teams: Alle Kompetenzen im Team, um autonom Entscheidungen treffen zu können.
Die Stärke agiler Methoden liegt in ihrer Fähigkeit, Unklarheiten und Änderungen während des Projektverlaufs proaktiv zu handhaben.
Wenn “Agilität” nur auf dem Papier existiert
Viele Projekte starten mit den besten Absichten, „agil“ zu sein. Daily Stand-ups werden eingeplant, Sprints definiert und ein Backlog erstellt. Doch im Laufe des Projekts schleichen sich unmerklich wasserfallartige Strukturen ein:
1. Feste Anforderungen von Anfang an
Anstatt Anforderungen iterativ zu entwickeln, werden zu Beginn eines Projekts detaillierte Lastenhefte erstellt. Änderungen während der Entwicklung werden als störend empfunden, nicht als Teil des Prozesses.
2. Fixe Deadlines und starre Meilensteine
Agilität erfordert Flexibilität – doch in vielen Projekten gibt es vorgegebene Deadlines, die das Team unter Druck setzen, alles bis zu einem festen Zeitpunkt fertigzustellen. Das führt dazu, dass der Fokus auf Geschwindigkeit und nicht auf Qualität liegt.
3. Scheinagile Meetings
Dailys werden zu Reporting-Meetings, in denen Teammitglieder Statusupdates an den Projektmanager geben. Retrospektiven finden nur pro forma statt, ohne echte Verbesserungen einzuleiten.
4. Top-Down-Steuerung
Ein zentraler Manager trifft alle Entscheidungen, anstatt das Team zu befähigen, autonom zu handeln. Das widerspricht dem agilen Prinzip der Selbstorganisation.
Warum rutschen agile Projekte in den Wasserfall zurück?
Es gibt mehrere Gründe, warum agile Projekte letztlich doch im Wasserfall enden:
- Kulturelle Hürden: Unternehmen sind oft an das Top-Down-Denken gewöhnt. Agilität erfordert jedoch einen Kulturwandel, der Zeit und Einsatz benötigt.
- Mangelndes Verständnis: Viele Stakeholder verstehen Agilität als Methode, schneller Ergebnisse zu liefern, ohne den zugrunde liegenden Paradigmenwechsel zu berücksichtigen.
- Druck durch externe Stakeholder: Kunden oder andere externe Partner bestehen auf festen Lieferterminen und umfassenden Planungen, was agile Prozesse erschwert.
- Unzureichende Schulung: Ohne erfahrene Scrum Master oder Agile Coaches werden agile Methoden oft falsch implementiert.
Die Folgen pseudoagiler Ansätze
Wenn ein Projekt vorgibt, agil zu sein, in Wahrheit aber nach Wasserfall-Prinzipien abläuft, entstehen erhebliche Probleme:
- Mangelnde Flexibilität: Änderungen werden als Hindernis statt als Chance gesehen.
- Demotivation des Teams: Ein Team, das keine Autonomie hat, verliert schnell die Motivation.
- Qualitätsverlust: Unter Zeitdruck werden Entscheidungen getroffen, die später teuer korrigiert werden müssen.
Wie man die Rückkehr zum Wasserfall vermeidet
Damit agile Projekte wirklich agil bleiben, sollten die folgenden Maßnahmen beachtet werden:
1. Kulturelle Transformation
Agilität beginnt im Kopf. Unternehmen müssen ihre Kultur hin zu Vertrauen, Transparenz und Flexibilität verändern.
2. Klare Kommunikation
Stakeholder müssen verstehen, was es bedeutet, agil zu arbeiten, und warum Änderungen während des Projekts ein Zeichen von Stärke und nicht von Schwäche sind.
3. Empowerment des Teams
Teams sollten befähigt werden, Entscheidungen selbstständig zu treffen. Führungskräfte müssen sich zurücknehmen und als Unterstützer agieren.
4. Iteratives Planen
Anforderungen und Meilensteine sollten als flexible Richtlinien und nicht als feste Vorgaben verstanden werden.
5. Erfahrene Führung
Ein kompetenter Scrum Master oder Agile Coach kann helfen, Prozesse zu schützen und das Team auf Kurs zu halten.
Fazit
Agilität ist mehr als ein Buzzword. Es erfordert Disziplin, kulturellen Wandel und ein tiefes Verständnis der Prinzipien. Projekte, die nur so tun, als wären sie agil, riskieren nicht nur ihren Erfolg, sondern auch das Vertrauen ihrer Stakeholder. Wer den Mut hat, Agilität konsequent zu leben, wird jedoch mit besseren Ergebnissen, zufriedeneren Teams und langfristigem Erfolg belohnt.