· Alain Ritter · Projektleitung · 3 min read
Kanban: Effizienz auf Kosten des Menschen?
Eine kritische Betrachtung der Kanban-Methode und ihrer Auswirkungen auf die menschlichen Aspekte der Arbeit.
Einführung
Kanban ist bekannt für seine Effizienz und Einfachheit, wenn es darum geht, Arbeitsprozesse zu optimieren. Doch bei aller Begeisterung für diese Methode wird oft übersehen, dass Kanban den menschlichen Faktor zu wenig berücksichtigt. In diesem Artikel werfen wir einen kritischen Blick auf die Kanban-Methode und ihre potenziellen Auswirkungen auf die Menschen, die sie anwenden.
Was ist Kanban?
Kanban ist ein Framework zur Visualisierung von Arbeitsprozessen, das ursprünglich in der Automobilindustrie von Toyota entwickelt wurde. Es hat sich seitdem in vielen Branchen etabliert, insbesondere in der Softwareentwicklung und im Projektmanagement.
Kernprinzipien von Kanban
- Visualisierung der Arbeit: Aufgaben werden in Spalten wie “To Do”, “In Progress” und “Done” dargestellt.
- WIP-Limits: Begrenzung der Anzahl gleichzeitig bearbeiteter Aufgaben.
- Kontinuierliche Verbesserung: Regelmäßige Überprüfung und Anpassung der Prozesse.
Der fehlende Fokus auf den Menschen
Während Kanban eine hervorragende Methode zur Prozessoptimierung ist, zeigt sich bei genauerem Hinsehen, dass der menschliche Faktor oft vernachlässigt wird.
1. Fokus auf Prozesse statt auf Personen
Kanban priorisiert die Visualisierung und Optimierung von Arbeitsabläufen. Dabei bleibt wenig Raum, die individuellen Bedürfnisse, Fähigkeiten und Herausforderungen der Teammitglieder zu berücksichtigen.
- Beispiel: Ein Teammitglied, das wiederholt Überlastung signalisiert, wird oft nur als Teil des Systems gesehen, nicht als Individuum mit spezifischen Bedürfnissen.
2. Fehlende soziale Interaktionen
Im Gegensatz zu Frameworks wie Scrum, die regelmäßige Meetings (z. B. Daily Standups, Retrospektiven) fördern, bietet Kanban keine strukturellen Elemente, die den sozialen Austausch oder die Teamdynamik stärken.
- Folge: Teams können fragmentiert arbeiten, was zu einer Isolation der Mitglieder führen kann.
3. Druck durch kontinuierlichen Fluss
Der “Pull”-Mechanismus von Kanban, bei dem neue Aufgaben direkt nach Abschluss einer alten übernommen werden, kann zu einem ständigen Gefühl von Dringlichkeit und damit zu Stress führen.
- Vergleich zu Scrum: In Scrum sorgen Sprints für klare Arbeitsphasen mit definierten Pausen zwischen den Iterationen.
Mögliche Auswirkungen auf die Teamkultur
- Ermüdung und Burnout: Der ständige Fokus auf Produktivität kann langfristig zu Überarbeitung und Frustration führen.
- Mangelnde Motivation: Wenn der Mensch nur als Teil eines “Mechanismus” wahrgenommen wird, kann dies die intrinsische Motivation beeinträchtigen.
- Konflikte und Missverständnisse: Der geringe Fokus auf Interaktion und Reflexion kann dazu führen, dass Konflikte ungelöst bleiben.
Wie lässt sich Kanban menschlicher gestalten?
Kanban kann mit einigen Anpassungen so gestaltet werden, dass der Mensch wieder stärker in den Fokus rückt:
- Regelmäßige Team-Meetings einführen: Ähnlich wie Scrum-Retrospektiven können regelmäßige Reflexionen eingeführt werden.
- Individuelle Bedürfnisse berücksichtigen: WIP-Limits könnten pro Teammitglied statt global definiert werden.
- Kultur der Wertschätzung fördern: Positive Leistungen sollten sichtbar gemacht und anerkannt werden.
Fazit
Kanban ist zweifellos eine leistungsstarke Methode zur Prozessoptimierung, doch die Vernachlässigung des menschlichen Aspekts ist eine wesentliche Schwäche. Um nachhaltig erfolgreich zu sein, müssen Teams Kanban anpassen und Elemente integrieren, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Denn letztendlich sind es die Menschen, die Prozesse lebendig machen – nicht umgekehrt.